Fundstück des Tages auf journalist online
Über den Autor
Marcus Bösch arbeitet als Multimediajournalist und Dozent unter anderem für die
Deutsche Welle. Er ist Autor des iPad-Buchs "Mobile Reporting" und hat
das entsprechende Kapitel im Journalistenlehrbuch Universalcode
geschrieben. Bösch betreibt das Blog mobile-journalism.com.
Gut drei Jahre ist es jetzt her. Da hat journalist-Autor Marcus Bösch für tagesschau.de zum ersten Mal mit einem Smartphone von der Bundestagswahl berichtet. Der Multimediajournalist findet, dass es auch für seine Kollegen an der Zeit ist, mehr mit den Handys zu experimentieren.
Der Mensch nutzt nur zehn Prozent seiner
Gehirnkapazität. Wahrscheinlich haben Sie diesen Spruch schon mal
gehört. Falls nicht, macht das nichts. Denn dieser Spruch ist falsch und
wissenschaftlich widerlegt. Allerdings – und da bin ich mir relativ
sicher – nutzen Sie als Journalist kaum mehr als zehn Prozent der
Möglichkeiten Ihres Smartphones. Wissenschaftlich belegt ist das
natürlich nicht. Aber Sie können es jetzt und hier testen. Anbei eine
Liste mit zehn Dingen, die Journalisten mit einem handelsüblichen
Mobiltelefon mit Internetverbindung mal ausprobieren sollten.
Auf die Schnelle einen O-Ton in die Redaktion schicken
Es musste alles ganz schnell gehen. Jetzt stehen Sie
hier. Der Gesprächspartner ist in Sichtweite und kommt näher. Doch: Sie
haben das Aufnahmegerät vergessen. Oder der Akku ist leer. Oder das
Mikrofon hat einen Wackelkontakt. Es gibt zahllose Gründe, warum Sie das
Gespräch jetzt nicht aufzeichnen können.
Es gibt allerdings auch einen Grund, warum es doch
klappt. Schauen Sie in die Hosen- oder Handtasche. Ihr Smartphone
ersetzt nämlich nicht nur die Armbanduhr, sondern im Bedarfsfall auch
Ihr Aufnahmegerät. Mit etwas Übung und der richtigen App brauchen Sie
für die Aufzeichnung des Interviews nicht mehr als Ihr Handy. Vorbei
sind die Zeiten, in denen Gesprächspartner irritiert auf
unprofessionelles, weil kleines Equipment blickten.
Einfach das eingebaute Mikrofon ausrichten und auf Aufnahme drücken. Mit günstigen Programmen wie iSaidWhat für iPhones oder TapeMachine Recorder für Android-Geräte können Sie nicht nur den Eingangspegel einstellen, sondern auch schnell und einfach passende O-Töne freistellen und via E-Mail direkt an die Redaktion senden.
Das machen bereits mehr Journalisten, als Sie
glauben. Allein Radio Hamburg nimmt angeblich bei 90 Prozent aller
Reportereinsätze sendefähiges Audiomaterial mit einem Smartphone auf.
Druckfähige Fotos machen und bearbeiten
Am 17. Februar 2004 veröffentlichte die New York
Times auf Seite eins ein recht gewöhnliches Foto. Es zeigt die
Unterzeichnung eines Dokuments von Vertretern zweier Telefonanbieter.
Das einzig Ungewöhnliche an diesem Bild ist, dass es mit einem
Mobiltelefon aufgenommen wurde. Das unspektakuläre Bild gilt als
Meilenstein des Mobile Reportings. Auch Pulitzer-Preisträger Damon
Winter beweist mit seiner auf dem iPhone aufgenommenen Fotoreportage über das 1. Bataillon der 87. Infanterie der US-Armee
im Norden Iraks, dass der Fotograf und eben nicht das Equipment gute
Bilder ausmacht. Er gewann 2010 den dritten Platz beim renommierten
Pictures-of-the-Year-Wettbewerb.
Inzwischen spielt es kaum noch eine Rolle, was für
ein Gerät Sie benutzen. Entscheidend ist, dass die Qualität für das
gewählte Verbreitungsmedium ausreicht. Nach dem Good-Enough-Prinzip
reichen Smartphone-Bilder fast immer, wenn die Fotos online erscheinen
sollen und es sich nicht um nachdrücklich herangezoomte Ausschnitte
handelt. Mit verbesserter Kameratechnik wird es bald auch möglich sein,
flächendeckend mit Telefonen druckfähige Bilder anzufertigen.
Faszinierend ist die Möglichkeit, Bilder noch auf dem Gerät zu
bearbeiten, anzupassen und zu optimieren. Neben Adobe Photoshop Express
helfen zahlreiche Apps wie Snapseed, das Optimum aus einem Foto
herauszuholen.
Zum Weiterlesen
- Damon Winters Handy-Fotoreportage gibt es hier zu sehen.
- 15 Tipps für bessere Fotos mit dem Smartphone hat t3n.de zusammengestellt
Ein sendefertiges Radiostück produzieren
Um Radio zu machen, musste ich mir vor 15 Jahren ein
kolossal schweres Gerät umhängen, danach in einem laborähnlichen Raum
die braunen Tonbänder bis zur richtigen Stelle spulen, auseinander
schneiden, beschriften, sortieren und wieder zusammenkleben, damit
schließlich in einem Raum voller Maschinen der fertige Beitrag
abgefahren werden konnte. Im Frühjahr 2010 habe ich mich im Wohnzimmer
auf die Couch gesetzt, in mein Telefon gesprochen, die digitalen
Tonspuren auf dem kleinen Bildschirm sortiert und an meinen Arbeitgeber,
die Deutsche Welle, geschickt. Dem Sendetechniker habe ich natürlich
nicht gesagt, dass ich meine fünfminütige Radiosendung
inklusive eingespielter Originaltöne und einem Nachrichtenbett komplett
auf einem iPhone 3G mit der damals erhältlichen App Monle produziert
habe. An der Qualität des Audios hatte er aber nichts zu bemängeln. Die
107. Ausgabe der Sendung Blogschau ist meines Wissens die erste
öffentlich-rechtliche Radiosendung, die nahezu komplett auf einem
Telefon produziert wurde. Etwas hakelig ist das alles ganz sicher auf
dem kleinen Bildschirm. Und ich würde das auch nie mehr machen, falls
ein echtes Studio oder ein etwas größerer Bildschirm bereitstehen.
Aber es geht. Und es ist sicher in einigen
Situationen denkbar und sinnvoll. Eine Mehrspurschnittsoftware für das
iPhone bietet zum Beispiel der Hokusai Audio Editor. Audioschnipsel ex- oder importieren lassen sich über die cloudbasierte Dropbox.
Zum Anhören
- Die Blogschau-Sendung gibt es hier noch mal zum Anhören.
Eine Live-Schalte ins Fernsehstudio übertragen
Nick Garnett arbeitet als Reporter und Moderator für
die BBC. Ende September schaltete er live von einem überschwemmten
Bowling-Club im Nordosten Großbritanniens ins TV-Nachrichtenstudio der
BBC. Daran wäre weiter nichts Ungewöhnliches. Es gehört zum täglichen
Geschäft von Live-Reportern, dass sie direkt von unterwegs auf Sendung
gehen.
Allerdings verschickte Nick Garnett seine Bilder diesmal mit einem Smartphone. Die Bildqualität ist nicht brillant, aber durchaus sendefähig. Am Anfang der Schalte gibt es zwar eine drei Sekunden lange Pause, aber das kommt auch schon mal vor, wenn Journalisten mit großem Equipment arbeiten.
Garnett nutzt vor Ort die App Dejero LIVE+,
die es ermöglicht, die Bandbreite der SIM-Karte mit einem WLAN zu
koppeln. So klappt auch die datenintensive Übertragung von Live-Videos.
Und noch mehr Beispiele
- Weitere Infos und das Video zum Anschauen gibt es hier.
- Natürlich hatte Garnett vorher schon einmal live ins Radio geschaltet. Verwendet hat er dafür die App Luci Live, die eine beachtliche Qualität liefert.http://nickgarnett.posterous.com/luci-live-on-the-iphone-a-film
Twittern
"Ich sehe da absolut keinen Wert drin." Gehören Sie zu den Kollegen, die sich Twitter
einmal angeschaut haben, um die weitere Auseinandersetzung mit dem
Microblog-Dienst dann kopfschüttelnd zu vertagen? Sie sind nicht allein.
Zu Ihrer Verteidigung sei gesagt: Es gibt auch kaum eine
Social-Media-Seite im gesamten Internet, die einen so schlechten ersten
Eindruck macht wie Twitter. Einzig – wer sich über das Inhaltsleere und
nutzlose Geschnatter aufregt, ist selbst Schuld daran und nutzt den
Dienst nicht richtig. Denn Twitter funktioniert nur, wenn man Menschen
oder Accounts folgt, die es einem wert sind.
Wenn man als Journalist nicht gleich aufgibt und
sich ein eigenes Kontaktnetz aufbaut, dann will man Twitter nicht mehr
missen. Vor allem auf dem mobilen Endgerät, denn da kann Twitter zum täglichen Begleiter werden.
Zum Weiterlesen
- Der US-amerikanische Journalist und Dozent Steve Buttry listet in einem Posting zehn schlagkräftige Gründe für die Twitter-Nutzung von Journalisten auf. Neben exklusiven Quellen bei Breaking News, Follower-gestützten Recherchen und neuen Storyideen, spare Twitter Zeit und Ressourcen und biete eine exzellente Umgebung, um Inhalte zu teilen und weiterzuverbreiten.
Eine eigene Infozentrale anlegen
Bekommen Sie Ihre Nachrichten im Büro aus dem
Agenturticker? Nun gut. Sie können zahlreiche Agenturen auch kostenlos
direkt auf dem Telefon nutzen und unterwegs durchschauen. Sinnvoller ist
aber sicherlich ein direkter und individueller Informationsmix aus
mehreren Quellen. Ich empfehle dazu Apps wie Flipboard oder Feedly – Google Reader RSS.
Bei Feedly handelt es sich um einen sogenannten
Feedreader. Sie können sich interessante Quellen zusammenstellen, diese
sortieren und automatisiert auf dem Gerät zusammenlaufen lassen. Die
schlichte und schöne Benutzeroberfläche erlaubt es, Inhalte zu
sortieren, zu markieren und direkt weiterzuverteilen.
Flipboard bietet
darüber hinaus die Möglichkeit, Dienste wie Twitter, Instagram, Videos von YouTube und Audios von Soundcloud zu
abonnieren. Flipboard funktioniert also nicht nur als multimediale,
soziale Nachrichtenzeitschrift, sondern lässt sich auch zum Publizieren
nutzen. Vielleicht versenden Sie aber auch nur eine Empfehlung per
E-Mail. Zum Beispiel einen Themenvorschlag direkt in die Redaktion.
Multimediale Inhalte publizieren
Es war noch nie so einfach, Audios, Videos, Texte
und Bilder zu publizieren. Eine der einfachsten Lösungen bietet derzeit
der kostenlose Bloggingdienst Tumblr.
Um einen neuen Blog bei Tumblr anzulegen, benötigen Sie lediglich eine
E-Mail-Adresse und eine Idee für einen Namen. Falls dieser noch nicht
vergeben ist, finden Sie unmittelbar nach der Anmeldung ihre eigene
Seite unter der Adresse Wunschname.tumblr.com. Dank der sehr schlichten,
aber mächtigen App (verfügbar für iPhone und Android) können Sie direkt
Texte, Fotos, Links und Videos publizieren. Das ist genauso einfach,
wie es klingt. Neben der Publikation dient Tumblr auch als soziales
Netzwerk: Sie können Freunden oder Bekannten bei Tumblr folgen und deren
Einträge "liken" und – mit oder ohne Kommentar – weiterverbreiten.
Neben mehr als 70 Millionen Privatnutzern haben auch zahlreiche
Medienanbieter Tumblr entdeckt.
Redakionen bei Tumblr
- Ende September hat die Redaktion von Zeit Online einen eigenen Tumblr-Blog gestartet. Hier geht's zum Blog und hier erklärt die Redaktion, was sie da eigentlich tut.
- Im Oktober hat die Süddeutsche Zeitung den Tumblr-Blog Gefällt mir zum Phänomen Internet-Mem gestartet. Wieso? Weshalb? Warum? Erklärt Dirk von Gehlen hier.
Mal auf Geolokalisierung machen
Mein Telefon weiß, wo ich bin. Das kann man gut oder
schlecht finden. Ändern kann man es nicht, denn sobald sich das Telefon
via Sendemast einwählt, werde ich lokalisiert. Wozu man das nutzen
kann, zeigt Zeit Online. Die Redaktion hat die Handydaten des
Grünen-Politikers Malte Spitz in einer interaktiven Grafik visualisiert. Journalistisch nutzen kann man solche Geolokalisierungsdaten aber auch anders.
Foursquare
etwa ermöglicht es, sich an bestimmten Orten aktiv "einzuchecken".
Warum ich das als Journalist machen sollte? Zum Beispiel um eine
interaktive Reisereportage umzusetzen. Versehen mit kurzen Kommentaren
und Fotos kann ich einen Städtetrip via Foursquare auf eine Karte
bringen. Reisende können dann zu Hause oder bei Bedarf auch direkt vor
Ort meine Anmerkungen lesen.
Und bei der nächsten Reportagereise bin ich bestens
ausgestattet. Die Explore-Funktion ermöglicht es, meine Umgebung nach
Empfehlungen abzusuchen. Das macht das Leben des Reporters leichter,
wenn er in einer fremden Umgebung schnell relevante Informationen,
Ansprechpartner oder einfach nur ein gutes Lokal finden will.
Und noch was zum Weiterlesen
- Was Journalisten sonst noch von Foursquare haben, habe ich hier aufgeschrieben.
In die Luft gehen
Zugegeben, für Punkt neun brauchen Sie neben Ihrem
Telefon noch weiteres Equipment. Und zwar einen Quadrocopter, eine
Drohne aus dem Elektrofachhandel für rund 300 Euro. Das Gerät können Sie
mit Ihrem Telefon in die Luft bringen, steuern und wieder landen. Warum
das für Sie als Journalist interessant sein könnte? Nun, bereits die
handelsübliche Drohne namens A.R.Drone hat eine eingebaute Kamera, die
Bilder und Videos in hoher Qualität produziert. Die Drohne sendet sie
live auf Ihr Smartphone – und Sie können die Bilder direkt nach der
Landung auf dem Handy weiterverarbeiten.
Einsatz finden könnte ein solches Szenario etwa nach
einer Flut oder dem Zusammensturz eines Gebäudes. Also immer dann, wenn
Journalisten mit ihrer üblichen Kamera nicht weiterkommen. Noch sind
die Referenzbeispiele des sogenannten Drohnenjournalismus an zwei Händen
abzuzählen, aber am Drone Journalism Lab
der University of Nebraska in den USA forscht man hierzu. So könnten
mit Sensoren bestückte Drohnen künftig Krisengebiete überfliegen. In
Fukushima hätte man unmittelbar Karten mit gefährdeten Gebieten
anfertigen können. Der Journalist Tim Pool hat die Occupy-Proteste mit
seinem Telefon nicht nur live ins Netz gestreamt, sondern aus New York
auch Bilder mit seiner Drohne geliefert. Er wollte zeigen, was die
Massenmedien nicht liefern konnten.
Und noch viel mehr zum Thema ...
- Mehr Informationen und Beispiele gibt es auf drohnenjournalismus.de.
Bonusaufgabe für Nerds
Sie haben die ersten neun Tipps überflogen, den Kopf
geschüttelt und sich gelangweilt? Sie kennen das alles schon? Sie
können das alles schon? Dann kommt hier Ihre Bonusaufgabe: Eifern Sie
Matthew Haughey nach. Der ist Blogger und international anerkannter
Nerd. Im Sommer 2012 hat Matt in einem Hotel übernachtet und sich über
das nicht funktionierende Hotel-WLAN geärgert. Repariert hat er es dann
mit seinem iPhone. Die Kurzzusammenfassung
passte in einen Twitter-Post: "Hotel internet down. I scanned the
network, found wifi router running port 80, logged in as admin/admin,
rebooted, fixed. All on my iPhone."
Alle anderen können und sollen ihr Telefon natürlich
auch weiter zum Telefonieren benutzen. Das kann man mit Smartphones
nämlich auch.